Fresse! Hör zu! (2)
Und heute ist es soweit, der heutige Text befasst sich sensationell mit der deutschen Geschichte. Ist dabei aber nicht überheblich und für jeden unter-10-Jährigen sehr gut geeignet. Also heute Abend, vorm Schlafen gehen, unbedingt vorlesen. Und da soll mal noch jemand sagen, dass man in Blogs nichts lernt!
Die Forschung an den deutschen Universitäten zeichnete sich im Kaiserreich durch beachtliches Niveau aus. Gesellschaftspolitisch hingegen waren die Universitäten Bollwerke tradierter Normen und Wertvorstellungen. Vor allem die Studierenden entwickelten starke Affinitäten zum Antisemitismus. Liberale Forscher und Gelehrte wie Rudolf Virchow oder Theodor Mommsen wurden seit den achtziger Jahren immer seltener. Sozialdemokraten erhielten keine Lehrbefugnis. Seit 1908 waren in ganz Deutschland auch Frauen zum Hochschulstudium zugelassen.
Die von der Hochindustrialisierung ausgelösten Umbrüche beschleunigten vor allem die Entwicklung der naturwissenschaftlichen und technisch-orientierten Fächer an den Universitäten und Hochschulen. Zugleich erhielt die schulische Ausbildung einen stärkeren Praxisbezug und richtete sich an den Bedürfnissen von Wirtschaft, Industrie und Verwaltung aus. Einen Höhepunkt erreichte die Förderung von Wissenschaft und Forschung mit der 1911 in Berlin gegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (heute: Max-Planck-Gesellschaft). Um die Jahrhundertwende erlangten die deutschen Universitäten mit ihrer systematischen Grundlagenforschung sowie die erstmals in großem Umfang eingeführten außeruniversitären Forschungseinrichtungen weltweiten Vorbildcharakter: Von den 42 zwischen 1901 und 1914 verliehenen naturwissenschaftlichen Nobelpreisen ging jeder dritte an einen deutschen Forscher.
Zu den mit einem Nobelpreis ausgezeichneten Wissenschaftlern zählten u.a. der Physiker Max Planck, Robert Koch als Entdecker des Tuberkulose- und des Cholera-Virus, der Entdecker der elektromagnetischen Strahlen Wilhelm-Conrad Röntgen, der Bakteriologe Emil von Behring und der Physiker Max von Laue. Mit Albert Einstein wurde 1914 einer der bekanntesten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts zum Direktor an das 1914 gegründete Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik berufen. Im Streit um die von Einstein entwickelte Relativitätstheorie bildete sich dann nach dem Ersten Weltkrieg die "Arbeitsgemeinschaft deutscher Naturforscher zur Erhaltung reiner Wissenschaft", die insbesondere Einsteins Pazifismus und Antimilitarismus sowie seine jüdische Abstammung zum Gegenstand einer antisemitischen Kampagne machte. Gegen den auch an den Universitäten stark verbreiteten Antisemitismus hatte sich schon vorher der Historiker Theodor Mommsen gewandt, der wie Rudolf Hucken, Paul Heyse und Gerhart Hauptmann Nobelpreisträger für Literatur war.
An den deutschen Universitäten herrschte ein stark konservativer Geist. So war für Studenten die Mitgliedschaft in einer schlagenden Verbindung fast selbstverständlich, denn die "Alten Herren" der Burschenschaften hatten bei der Verteilung von Ämtern ein gewichtiges Wort mitzureden. Die Mitgliedschaft in einem Corps hatte ein ebenso hohes Sozialprestige wie der Status eines Reserveoffiziers; Studentinnen hatten keinen Zugang zu dieser "Männerwelt".
Bekleideten die Absolventen der Universitäten hauptsächlich Führungspositionen im öffentlichen Bereich, so befriedigten die Technischen Hochschulen vor allem den Bedarf der großen Wirtschaftsunternehmen an wissenschaftlich ausgebildeten Technikern und Ingenieuren. Als Angestellte übernahmen die Hochschulabsolventen immer mehr Leitungs- und Kontrollfunktionen der noch handwerklich ausgebildeten Meister. Mit der Verleihung des Promotionsrechts erreichten die Technischen Hochschulen 1899 die lange angestrebte Gleichstellung mit den Universitäten.
Die technisch-industrielle Entwicklung brachte nicht nur den neuen Typ der Technischen Hochschule und die außeruniversitären Forschungsstätten auf den Weg, sondern sie formte auch das Schulwesen um. Die klassische Gelehrtenschule, das auf altsprachlichen Unterricht aufbauende humanistische Gymnasium, erhielt mit der Realschule und dem Realgymnasium eine Konkurrenz, die sich stärker den modernen Sprachen und naturwissenschaftlichen Fächern widmete. Zwar konnten Absolventen der Realgymnasien schon seit 1859 Natur- und Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten studieren, doch erst 1900 wurden die Reifezeugnisse der Realgymnasien - ebenso wie die der ab 1882 eingerichteten lateinlosen Oberrealschulen - den Abschlüssen der humanistischen Gymnasien grundsätzlich gleichgestellt.
Zugleich wurden die ersten höheren Mädchenschulen gegründet. Sie erhielten 1908 auch in Preußen das Recht zur allgemeinen Reifeprüfung. Vorher konnten Frauen ihr Abitur nur unter erschwerten Bedingungen ablegen. Seit dem Wintersemester 1908/09 waren Frauen zur regulären Immatrikulation an den preußischen Hochschulen zugelassen. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg waren 4.000 Frauen immatrikuliert; die Zahl ihrer Kommilitonen war inzwischen von 13.000 (1871) über 34.000 (1900) auf 56.000 gestiegen.
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